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Dicker Hals an schlanker Geige
Nachrichten
aus der Boulevard-Presse gehören nicht ins Konzerthaus
Als der private Konzertveranstalter an der Solistentüre im Künstlerfoyer klopft, ist er guter Dinge. Er bringt eine in frühlingshaften Farben gestaltete Programmbroschüre
zu Lidia Baich, einer in St. Petersburg geborenen heutigen Österreicherin, die in einer Stunde Werke von Mozart und Camille Saint-Saens interpretieren will. Da die junge Frau in Wien im gesellschaftlichen Treiben keine Unbekannte ist, selbst als Musikerin
sich auch in der Glamourwelt des Rock und Pop bewegt und selbst bei „Pavarotti and Friends“ aufgetreten ist, hat sich der Konzertveranstalter etwas einfallen lassen. Lange langweilen ihn schon die gängigen Biographien mit den heruntergebeteten
Orchesternamen, bespielten Konzerthallen und anderen Musikern, die von den Agenturen wie aus Maschinengewehren auf den unbefangenen Konzertbesucher abgeschossen werden – und dort meist in Unkenntnis verpuffen. Lange haben sich Werkanalysen bei Konzerteinführungen
erledigt, denn nur ganz wenige Menschen im Konzert verstehen noch etwas von der Musik selbst – Dank der deutschen Bildungspolitik. Da die Lady mit dem kleinen tätowierten Notenschlüssel am Unterarm einen aufgeschlossenen Eindruck machte, besonders
auch willig eingereichte Fotos der Künstlerin eher den Ansprüchen von Modellagenturen entsprachen als denen verschlafener Kurhallen, peppt er ihre brav abgedruckte Erfolgsbiographie mit einigen aktuellen, in der Presse breit dargestellten Ereignissen
auf – natürlich positiv. An Stoff fehlte es nicht, denn die Geigerin hatte es irgendwie krachen lassen: Erst Heirat mit einem bekannten Tenor, dann anschließend auf den Ball der Bälle, den Wiener Hofopernball. Das alles wurde in den dort
einschlägigen Gazetten bestens goutiert: Wien besitzt eine Kaffeehaus-Kultur – und da regiert das Gesellschaftliche. Frau Baich sah das anders. Sie kriegte Hälse, wie man am Rhein sagt.
Die Geigerin hatte es krachen lassen
„Das ist mir in meinen knapp 400 Konzerten nicht passiert“, weiß der Impresario zu berichten. „Frau Baich lässt sich gar nicht mehr
beruhigen“, ergänzt er. Und so war es. Nach Drohungen der aufgebrachten Künstlerin wurde der Verkauf des Programmheftes gestoppt, die Hefte später eingestampft.
Sensationell ist dabei, dass eine junge, genreübergreifend arbeitende
Künstlerin den Versuch stoppt, Publikumsnähe zu gewinnen. Das erzeugt zudem ungedeckte Kosten im nicht subventionierten Budget. Selbst der Dirigent beteiligte sich als friedliche Geste an den Kosten. Schlimmer waren die Reaktionen der Abonnenten,
die teilweise nach dreißig Jahren erstmals kein Programmheft in Händen hielten. Wer den leisen Tumult mitbekam oder bereits eines der wenigen in den Verkauf gelangten Exemplare gelesen hatte, war irritiert. Auch als „Eingriff in die Pressefreiheit“
wurde der Vorfall kommentiert, ein Konzert dieser Dame würde nicht mehr besucht. Man hätte es vielleicht rechtlich ausfechten sollen, aber traut sich das ein Veranstalter, wenn er kurz vor Konzert nur eine Solistin hat? Oder hatte die Solistin Recht,
alles soll bleiben wie es immer war, und Wien bleibt Wien? Es bleibt spannend, auch hinter der Bühne.
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dort finden Sie auch den Artikel Pepys Welt